Page 12 - Fotostadt Essen 2
P. 12

DER WEG ZUM BUNDESINSTITUT FÜR FOTOGRAFIE          (12)                                      FOTOSTADT ESSEN            DER WEG ZUM BUNDESINSTITUT FÜR FOTOGRAFIE           (13)                                     FOTOSTADT ESSEN

                                                                                                                               nutze Technologien, über die ich kein Wissen mehr habe.“ Indem
                                                                                                                               sie den Scanner auf ungewöhnliche Weise nutzt, hält sie einen
                                                                                                                               zeitlichen Ablauf im Bild fest und produziert unterschiedliche
                                                                                                                               Bildsequenzen. „Der Körper des Geländes verwebt sich mit dem
                                                                                                                               menschlichen Körper. Der performative Prozess wird zu einem
                                                                                                                               Ritual der Entmaterialisierung“, erklärt die Deutsch-Peruanerin.
                                                                                                                                   Michael Romstöck – inspiriert von Albrecht Dürers Aquarell
                                                                                                                               „Das große Rasenstück“ – hat sechs Schwarz-Weiß-Fotografien
                                                                                                                               mit einer analogen Großformatkamera erstellt. „Mein Ausgangs-
                                                                                                                               punkt  gleicht  dem  von  Wissenschaftler:innen. Ich isoliere  ein
                                                                                                                               Stück Natur mittels einer besonderen Kameratechnik, untersuche
                                                                                                                               den Naturausschnitt gleich einem mikroskopischen Präparat und
                                                                                                                               gewinne dadurch neue Erkenntnisse“, sagt der 29-jährige Fotograf
                                                                                                                               und bildende Künstler. Die Fachkamera bietet ihm dazu spezi-
                                                                                                                               fische technische Möglichkeiten. Präzise erarbeitet er sich einen
                                                                                                                               Ausschnitt aus dem zu untersuchenden Gelände. „Blitzlicht- und
                                                                                                                               Mischlichtsituationen setzte ich bewusst ein. Sie helfen mir, Mo-
                                                                                                                               tive aus dem mich umgebenen Raum zu isolieren und ihnen eine
                                                                                                                               Zeitlichkeit zu geben. In der Dämmerung verstärken sich diese
                                                                                                                               motivischen Störungen, etwas Unkontrollierbares bildet sich ab“,
                                                                                                                               so der Lehrbeauftragte an der Folkwang Universität der Künste.
                                                                                                                                   Inga Barnick hat den von rostigen Bauzäunen eingehegten
                                                                                                                               Ort immer wieder zu verschiedenen Tageszeiten aufgesucht und
                                                                                                                               ihn durch die digitale Kamera in kurzen Sequenzen erfasst. „Es
                                                                                                                               geht mir nicht um das schöne Bild“, sagt sie. Die Fotos sind un-
                                                                                                                               scharf, sie „rauschen“, wirken krümelig – die Kamera stößt an
                                                                                                                               ihre technischen Grenzen. „Diffus“ ist das Stichwort. Es beschreibt
                                                                                                                               die vorgefundene Situation: die wuchernde Flora, die vorberei-
                                                                                                                               tete Markierung der Freifläche, die als Bauland gilt. Eine wirkliche
                                                                                                                               Grenze gibt es nicht, man ist drinnen oder draußen. Es könnte
                                                                                                                               irgendwo sein, eben ein Bauzaun am Straßenrand.
                                                                                                                                   „Die digitale Kameratechnik ermöglicht mir,  vor Ort so
                                                                                                                               viele  Bilder wie  möglich  zu  machen“,  erklärt  Bahram  Shabani
                                                                                                                               Kolour. Die Auswahl der Motive und das Nachdenken über die
                                                                                             Bilder oben: © MARIE LAFORGE      Reihenfolge geschehen erst im  Atelier.  Aus unzähligen Moti-
                                                                                    Bilder auf der rechten Seite von oben nach unten:
                                                                                                      © INGA BARNICK           ven hat der 34-Jährige 30 Einzelaufnahmen ausgewählt, diese
                                                                                              © BAHRAM SHABANI KOLOUR          ausgedruckt und in eine neue Verbindung gebracht. „Mir ist es
                                                                                                     © KILLA SCHÜTZE           wichtig, dass die collageartigen Details wieder ein Ganzes bil-
                                                                                                   © MICHAEL ROMSTÖCK          den, sodass ein vielfältig gestalteter und reflektierter Blick auf
                                                                                                                               das Baufeld entsteht“, sagt der Iraner, der zum Master-Studium
                                                                                                                               nach Essen gekommen ist.
                                                                                                                                    Gemeinsam haben die vier Folkwang-Absolvent:innen ihre
                      Text: Dagmar Haas-Pilwat                                                                                 unterschiedlichen ästhetischen Umsetzungsformen und Metho-
                                                                                                                               den miteinander verknüpft, so dass sie sowohl durch ihre visuelle
          Rund  um das 5500 Quadratmeter große  Baufeld auf dem  sowie ihre hybriden Formen im Fokus der Auseinandersetzung    Nähe als auch durch ihre ästhetischen Brüche an bildnerischer
       Campus der Zeche Zollverein sind Einsichten und Aussich-  stehen. Angelegt ist die einmalige Aktion als eine Gemeinschafts-  Kraft gewinnen.
       ten, Einblicke und  Ausblicke entstanden.  Wenn das geplante  arbeit, die unterschiedliche ästhetische Umsetzungsformen und   „Das Bauzaunprojekt ist eine Gemeinschaftsarbeit“, sagt
       Bundesinstitut für Fotografie dort auf dem ehemaligen Material-  Methoden miteinander verknüpft.                        Elke Seeger. Für jedermann sichtbar ist das rund  350 Meter
       lagerplatz einziehen  will,  werden sie Nachbarn sein – die   Kennzeichnend für alle vier Ansätze ist der stark fragmenta-  lange und 1,80 Meter hohe Banner aus halbtransparentem Mesh-
         Lehrenden und Studierenden des Fachbereichs Gestaltung der  rische Blick auf den natürlichen Wildwuchs des brachliegenden   Gewebe, das sich nun um das Areal spannt. Diese neue, künstlich
       Folkwang Universität der Künste.  Vier  Absolvent:innen der  Areals. Auffallend sind die Betonung der natürlichen Strukturen     gestaltete Markierung ist als Modulsystem angelegt, bestehend
       Fachgruppe Fotografie haben sich bereits jetzt dem Baugelände  mit Hilfe stark vergrößerter Details, die Veränderung des Maß-  aus 33 unterschiedlichen Bildsequenzen, die bruchstückhaft im-
       genähert: Unter der Leitung  von Professorin Elke Seeger,    stabs sowie eine oftmals surreal anmutende Lichtsetzung, betont   mer wieder einen Blick auf das Gebiet zulassen. „Wieder verortet
       Lehrende der Fotografie, erregt ihre spektakuläre Natur-Kultur-  Elke Seeger. Gerade die detaillierten Oberflächendarstellungen   in den Raum ihrer Entstehung entwickelt sich auf diese Weise
       Aktion „Bauzaun“ große Aufmerksamkeit.                erzeugen ein Spannungsfeld, sowohl im Verhältnis zueinander       ein assoziatives Wechselspiel zwischen den Fotografien und der
          Mit Hilfe unterschiedlichster fotografischer Verfahren – hoch-  als auch in der Beziehung zum umgebenden Raum.       sichtbaren Wirklichkeit, die je nach Tageszeit und Lichteinfall
       auflösende Digitalkamera, analoge Großformattechnik in Schwarz-  So ist Killa Schütze für ihre Arbeit „Proof Of Life“ das Areal   zeitweise nahezu miteinander verwoben wirken“, sagt Seeger.
       Weiß, aber auch ungewöhnliche technische Hilfsmittel, wie ein  mit einem Scanner abgeschritten. Bedingt durch die mechanische   Entstanden ist ein  vielschichtiges Mosaik, eine künstleri-
       Scanner, der den Boden des Grundstücks neuartig kopiert – set-  Bewegung des Lasers werden tausende von Momentaufnahmen   sche Aneignung der Welt mittels der Fotografie. Der bestehende
       zen die jungen Künstler:innen mit der Brachfläche auseinander.  aneinandergereiht, die in der Visualisierung zu einem abstrakten   Raum kann neu wahrgenommen werden, zeigt Schnittmengen
       Sie dokumentieren den Raum nicht, sie interpretieren ihn viel-  Muster zu zerfallen scheinen. „In einer archäologischen Geste   und Synergien mit dem Areal auf, die durch die direkte Nachbar-
       mehr und überführen ihn in eine individuelle Bildidee.   begegne ich der fremden Natur des verwilderten Geländes. Wie   schaft der Folkwang Universität der Künste – explizit der Fach-
          Das Hochschulprojekt „Bauzaun“ thematisiert das Verhält-  eine Zeitreisende aus einer fernen Zukunft schaue ich auf unsere   gruppe Fotografie – und eines zukünftigen Bundesinstituts für

       nis von Natur und Kultur. Wobei digitale und analoge Verfahren  Gegenwart, dokumentiere die Zeugnisse der Vergangenheit und   Fotografie real werden.
   7   8   9   10   11   12   13   14   15   16   17