Page 13 - Fotostadt Essen 2
P. 13
DER WEG ZUM BUNDESINSTITUT FÜR FOTOGRAFIE (12) FOTOSTADT ESSEN DER WEG ZUM BUNDESINSTITUT FÜR FOTOGRAFIE (13) FOTOSTADT ESSEN
nutze Technologien, über die ich kein Wissen mehr habe.“ Indem
sie den Scanner auf ungewöhnliche Weise nutzt, hält sie einen
zeitlichen Ablauf im Bild fest und produziert unterschiedliche
Bildsequenzen. „Der Körper des Geländes verwebt sich mit dem
menschlichen Körper. Der performative Prozess wird zu einem
Ritual der Entmaterialisierung“, erklärt die Deutsch-Peruanerin.
Michael Romstöck – inspiriert von Albrecht Dürers Aquarell
„Das große Rasenstück“ – hat sechs Schwarz-Weiß-Fotografien
mit einer analogen Großformatkamera erstellt. „Mein Ausgangs-
punkt gleicht dem von Wissenschaftler:innen. Ich isoliere ein
Stück Natur mittels einer besonderen Kameratechnik, untersuche
den Naturausschnitt gleich einem mikroskopischen Präparat und
gewinne dadurch neue Erkenntnisse“, sagt der 29-jährige Fotograf
und bildende Künstler. Die Fachkamera bietet ihm dazu spezi-
fische technische Möglichkeiten. Präzise erarbeitet er sich einen
Ausschnitt aus dem zu untersuchenden Gelände. „Blitzlicht- und
Mischlichtsituationen setzte ich bewusst ein. Sie helfen mir, Mo-
tive aus dem mich umgebenen Raum zu isolieren und ihnen eine
Zeitlichkeit zu geben. In der Dämmerung verstärken sich diese
motivischen Störungen, etwas Unkontrollierbares bildet sich ab“,
so der Lehrbeauftragte an der Folkwang Universität der Künste.
Inga Barnick hat den von rostigen Bauzäunen eingehegten
Ort immer wieder zu verschiedenen Tageszeiten aufgesucht und
ihn durch die digitale Kamera in kurzen Sequenzen erfasst. „Es
geht mir nicht um das schöne Bild“, sagt sie. Die Fotos sind un-
scharf, sie „rauschen“, wirken krümelig – die Kamera stößt an
ihre technischen Grenzen. „Diffus“ ist das Stichwort. Es beschreibt
die vorgefundene Situation: die wuchernde Flora, die vorberei-
tete Markierung der Freifläche, die als Bauland gilt. Eine wirkliche
Grenze gibt es nicht, man ist drinnen oder draußen. Es könnte
irgendwo sein, eben ein Bauzaun am Straßenrand.
„Die digitale Kameratechnik ermöglicht mir, vor Ort so
viele Bilder wie möglich zu machen“, erklärt Bahram Shabani
Kolour. Die Auswahl der Motive und das Nachdenken über die
Bilder oben: © MARIE LAFORGE Reihenfolge geschehen erst im Atelier. Aus unzähligen Moti-
Bilder auf der rechten Seite von oben nach unten:
© INGA BARNICK ven hat der 34-Jährige 30 Einzelaufnahmen ausgewählt, diese
© BAHRAM SHABANI KOLOUR ausgedruckt und in eine neue Verbindung gebracht. „Mir ist es
© KILLA SCHÜTZE wichtig, dass die collageartigen Details wieder ein Ganzes bil-
© MICHAEL ROMSTÖCK den, sodass ein vielfältig gestalteter und reflektierter Blick auf
das Baufeld entsteht“, sagt der Iraner, der zum Master-Studium
nach Essen gekommen ist.
Gemeinsam haben die vier Folkwang-Absolvent:innen ihre
Text: Dagmar Haas-Pilwat unterschiedlichen ästhetischen Umsetzungsformen und Metho-
den miteinander verknüpft, so dass sie sowohl durch ihre visuelle
Rund um das 5500 Quadratmeter große Baufeld auf dem sowie ihre hybriden Formen im Fokus der Auseinandersetzung Nähe als auch durch ihre ästhetischen Brüche an bildnerischer
Campus der Zeche Zollverein sind Einsichten und Aussich- stehen. Angelegt ist die einmalige Aktion als eine Gemeinschafts- Kraft gewinnen.
ten, Einblicke und Ausblicke entstanden. Wenn das geplante arbeit, die unterschiedliche ästhetische Umsetzungsformen und „Das Bauzaunprojekt ist eine Gemeinschaftsarbeit“, sagt
Bundesinstitut für Fotografie dort auf dem ehemaligen Material- Methoden miteinander verknüpft. Elke Seeger. Für jedermann sichtbar ist das rund 350 Meter
lagerplatz einziehen will, werden sie Nachbarn sein – die Kennzeichnend für alle vier Ansätze ist der stark fragmenta- lange und 1,80 Meter hohe Banner aus halbtransparentem Mesh-
Lehrenden und Studierenden des Fachbereichs Gestaltung der rische Blick auf den natürlichen Wildwuchs des brachliegenden Gewebe, das sich nun um das Areal spannt. Diese neue, künstlich
Folkwang Universität der Künste. Vier Absolvent:innen der Areals. Auffallend sind die Betonung der natürlichen Strukturen gestaltete Markierung ist als Modulsystem angelegt, bestehend
Fachgruppe Fotografie haben sich bereits jetzt dem Baugelände mit Hilfe stark vergrößerter Details, die Veränderung des Maß- aus 33 unterschiedlichen Bildsequenzen, die bruchstückhaft im-
genähert: Unter der Leitung von Professorin Elke Seeger, stabs sowie eine oftmals surreal anmutende Lichtsetzung, betont mer wieder einen Blick auf das Gebiet zulassen. „Wieder verortet
Lehrende der Fotografie, erregt ihre spektakuläre Natur-Kultur- Elke Seeger. Gerade die detaillierten Oberflächendarstellungen in den Raum ihrer Entstehung entwickelt sich auf diese Weise
Aktion „Bauzaun“ große Aufmerksamkeit. erzeugen ein Spannungsfeld, sowohl im Verhältnis zueinander ein assoziatives Wechselspiel zwischen den Fotografien und der
Mit Hilfe unterschiedlichster fotografischer Verfahren – hoch- als auch in der Beziehung zum umgebenden Raum. sichtbaren Wirklichkeit, die je nach Tageszeit und Lichteinfall
auflösende Digitalkamera, analoge Großformattechnik in Schwarz- So ist Killa Schütze für ihre Arbeit „Proof Of Life“ das Areal zeitweise nahezu miteinander verwoben wirken“, sagt Seeger.
Weiß, aber auch ungewöhnliche technische Hilfsmittel, wie ein mit einem Scanner abgeschritten. Bedingt durch die mechanische Entstanden ist ein vielschichtiges Mosaik, eine künstleri-
Scanner, der den Boden des Grundstücks neuartig kopiert – set- Bewegung des Lasers werden tausende von Momentaufnahmen sche Aneignung der Welt mittels der Fotografie. Der bestehende
zen die jungen Künstler:innen mit der Brachfläche auseinander. aneinandergereiht, die in der Visualisierung zu einem abstrakten Raum kann neu wahrgenommen werden, zeigt Schnittmengen
Sie dokumentieren den Raum nicht, sie interpretieren ihn viel- Muster zu zerfallen scheinen. „In einer archäologischen Geste und Synergien mit dem Areal auf, die durch die direkte Nachbar-
mehr und überführen ihn in eine individuelle Bildidee. begegne ich der fremden Natur des verwilderten Geländes. Wie schaft der Folkwang Universität der Künste – explizit der Fach-
Das Hochschulprojekt „Bauzaun“ thematisiert das Verhält- eine Zeitreisende aus einer fernen Zukunft schaue ich auf unsere gruppe Fotografie – und eines zukünftigen Bundesinstituts für
nis von Natur und Kultur. Wobei digitale und analoge Verfahren Gegenwart, dokumentiere die Zeugnisse der Vergangenheit und Fotografie real werden.