Page 60 - Fotostadt Essen 2
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       IM PORTRÄT
                                                                                                    FOTOSTADT ESSEN
                                                                                                                                                                                   61
                                                                                                                                                                                   (
       IM PORTRÄT                                         ( (60))                                   FOTOSTADT ESSEN            IM PORTRÄTIM PORTRÄT                                (61) )                                   FOTOSTADT ESSENFOTOSTADT ESSEN
      KARINA                                                                                                                   Die Geschichte beginnt eigentlich in Hollywood. Die Fotokünstlerin
      NIMMERFALL                                                                                                               mehrmals besucht, und entdeckt das Ambassador Hotel, gebaut 1921 und
                                                                                                                                 Karina Nimmerfall befindet sich Anfang der 2000er in Los Angeles, das sie
                                                                                                                               abgerissen 2006. Es ist der Schauplatz und Mittelpunkt urbanen Lebens
                                                                                                                               in Kalifornien sowie den USA und Monument der Zeitgeschichte auf dem
                                                                                                                               berühmten Wilshire Boulevard. Ein Sinnbild des goldenen Film-Zeit-
                                                                                                                               alters gloriosen Glamours und zugleich tragisches Symbol. Im Coconut
                                                                                                 Text: Uschka Pittroff         Grove Nightclub tanzten und flirteten Stars, tranken Dirty Martinis
                                                                                                                               und gaben sich dem Taumel des Ruhms und dem wüst-süßen Leben hin.
                                                                                                                               Das Hotel war Schauplatz der ersten Oscar-Verleihung.
      Vom Glamour                                                                                                              Dann: 1968 wurde Robert Kennedy in der Küche des Hotels ermordet.
                                                                                                                               Schauplatz für Mythen, Fantasien, Geschichten, Geister. Nach der
                                                                                                                               Schließung des Hotels 1989 war es weiterhin ein Ort, der ausschließlich
      des Gedachten                                                                                                            als Drehort für Filmaufnahmen genutzt wurde. Für die Ewigkeit auf                         Karina Nimmerfall
                                                                                                                               Zelluloid dokumentiert.
                                                                                                                               Nimmerfall ist fasziniert von solchen Räumen: „Sie sind mehrdimensional.                  lebt und arbeitet in
                                                                                                                                                                                                                         Berlin. Ihre künstleri-
                                                                                                                               Da gibt es die physische Dimension, also die Architektur. Dann die Reprä-                 sche Arbeit entwickelt
                                                                                                                                                                                                                         sie aus fotografischen
                                                                                                                               sentation, also das mediale Bild. Und nicht zuletzt den imaginären Raum,                  Untersuchungen von
                                                                                                                                                                                                                         historischer Architektur
                                                                                                                               also u. a. kulturelle, ideologische, politische und emotionale Zuschreibungen.“           und wie diese von
                                                                                                                               Solche Räume sind ihr Thema. So setzt sie diese in ihren Arbeiten um.                     politischen, ökonomi-
                                                                                                                                                                                                                         schen und ideologi-
                                                                                                                               Bei ihren Recherchen in Amerika stößt die Wahlberlinerin mit öster-                       schen Fragestellungen
                                                                                                                               reichisch-deutschen Wurzeln auf ein weiteres interessantes Objekt:                        durchdrungen ist.
                                                                                                                                                                                                                         In ihren Werken
                                                                                                                               Es handelt sich um das 1953 von H. Roy Kelley erbaute und 2007 zerstörte                  fügt sie Dokumente,
                                                                                                                                                                                                                         Texte und Interviews,
                                                                                                                               modernistische Gebäude der RAND Corporation in Santa Monica,                              Fotografien und Bau-
                                                                                                                               Kalifornien – des einflussreichsten kontroversen Think-Tanks der USA                      pläne zusammen und
                                                                                                                                                                                                                         eröffnet mit Hilfe von
                                                                                                                               zur Erforschung von Militärtechnologie während des Kalten Krieges.                        virtuellen Renderings
                                                                                                                               „1953“ ist der Titel der Arbeit über das soziale Wohnprojekt von Neutra                   räumliche Inszenie-
          RAND-Gebäudes als Rendering. Sie bezieht sich auf Original-Baupläne, Fotos und
                                                                                                                                                                                                                         rungen und damit
                                                                                                                               (das Wohnprojekt selbst hieß „Elysian Park Heights“) in Los Angeles,                      neue Interpretations-
                                                                                                                                                                                                                         spielräume.
                                                                                                                               eine Vision von Richard Neutra, die nie realisiert wurde.                                 In ihrem Projekt „Un-
        Forensik und Fantasie: Karina Nimmerfall schafft neue gedachte Räume des
                                                                                                                                                                                                                   Bilder:  intentional Monument
            Dokumentationen, um dann per Computer Neues daraus zu generieren.
                                                                                                                                                                                                          Karina Nimmerfall  (The Matrix Code)“
                                                                                                                                                                                    Unintentional Monument (The Matrix Code), 2020  wendet sie sich der
                                                                                                                                                                                                        © KARINA NIMMERFALL  wenig erforschten und
                                                                                                                                                                                                                         höchst innovativen
               „Rekonstruktionen sind dafür da, sie zu unterwandern“, sagt sie.
                                                                                                                                                                                                                         RAND Corporation
                                                                                                                                                                                                                         mit Sitz in Los Angeles
                                                                                                                                                                                                                         zu. Das minimalistische,
                                                                                                                                                                                                                         jedoch heute zerstörte
                                                                                                                                                                                                                         Gebäude (1953 – 2007)
                                                                                                                                                                                                                         macht Nimmerfall
                                                                                                                                                                                                                         mit forensischen
                                                                                                                                                                                                                         Mitteln in seinen
                                                                                                                                                                                                                         technologischen
                                                                                                                                                                                                                         und ideologischen
                                                                                                                                                                                                                         Qualitäten erfahrbar.
                                                                                                                                                                                                                         In ihren Textbroschü-
                                                                                                                                                                                                                         ren finden sich auch
                                                                                                                                                                                                                         Geschichten „dahin-
                                                                                                                                                                                                                         ter“: So entwickel ten
                                                                                                                                                                                                                         RAND-Wissenschaft ler
                                                                                                                                                                                                                         das erste erfolgreiche
                                                                                                                                                                                                                         Artifical-Intelligence-
                                                                                                                                                                                                                         Programm (1957),
                                                                                                                                                                                                                           Bausteine für Satelliten-
                                                                                                                                                                                                                         systeme (1958) sowie
                                                                                                                                                                                                                         das sogenannte RAND-
                                                                                                                                                                                                                         Tablet, einen Vorläufer
                                                                                                                                                                                                                         des iPads (1961).

                                                                                                                                                                                                                          FOTO: © JEFF LUCKEY
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