Page 59 - Fotostadt Essen 2
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 Sind damit auch die Erwartungen   Wie definieren Sie diese Bildautor:innen?    Plakatserie zur Ausstellung
 gewachsen?  Zu den Kriterien gehört eine  wahr-                                Photographie der Schweiz um 1840 bis heute
 Unbedingt. Wir leben in einem ständi-  nehmbare Haltung eines Menschen, der    Kunsthaus Zürich, 1974

 gen Spagat zwischen dem, was wir uns auf  mit seinen Bildern eine Position bezieht.
 die Fahne geschrieben haben, und dem,  Diese Haltung, gepaart mit einer Konti-  Doris Quarella
 was  wir als Institution leisten können.    nuität,  die  sich  in  einer  eigenständigen   Gestaltung Blumenstein + Plancherel
 Darunter leiden wir auch ein wenig.  Fragestellung und in einer Handschrift    © Fotostiftung Schweiz
 äußert, ist uns  wichtig. Uns interessiert
 Die Fotografie ist stark im Wandel   ein fotografisches Werk als Ausdruck einer
   begriffen, schon  aufgrund der  täglich   spezifischen Sichtweise der Welt.
   produzierten Bildermenge. Was bedeu-  Dabei sind wir von Anfang an offen
 tet das für Ihre Sammeltätigkeit?   und beschränken uns nicht auf Sektoren.
 Als Institution kann man eigentlich  Das innovative Potenzial, die Originali-
 nur scheitern, wenn man dem allzu gro-  tät, die Besonderheit, aber keinesfalls nur
 ßen Druck durch die gigantische Bild-  im Sinne einer Hierarchie  von künstle-
 produktion nachgibt. Die Fotostiftung  risch wertvoll oder nicht – darauf achten
 wollte anfangs auch die Fotografie in al-  wir. Spannend finde ich hierbei auch die
 len möglichen Erscheinungsformen sam-  Prozesse der Umwertung, die ja dauernd
 meln. Heute müssen  wir Filter anlegen.  stattfinden. Wir haben Bestände, die zum
 Der entscheidende Filter für uns ist der  Zeitpunkt ihrer Entstehung als unbedeu-
 Begriff der Autorschaft. Mit der Übernah-  tend galten, beispielsweise Emil Brunners
 me von Nachlässen war er von Anfang an  Fotografien  von Bergkindern. Das Jahr-
 unser Programm und hat sich bewährt.  zehnte später  von uns produzierte Buch
 Wenn man sagt, die klassische Fotografie  mit Brunners Bildern hatte einen riesigen
 sei tot, denkt man sie nur  vom Produkt  Erfolg.  Genau  solche  Prozesse  finden  in
 her, von all den hybriden Formen, die es  der Fotografie viel häufiger statt als in der
 heute  gibt.  Wenn  man  das  fotografische  Kunst, weil das Medium so durchlässig ist.   Peter Pfrunder ist 1959 in Singapur
 Bild aber von der Autorschaft her denkt,   geboren und in der Schweiz aufge-
 bewegt  man  sich  innerhalb  des Korpus  Als öffentliche „Gedächtnisinstitution“   wachsen. Er studierte Germanistik,
 einer Werkbiografie. Diese geht automa-  haben Sie eine kanonbildende Funktion   europäische Volksliteratur und
 tisch mit der Zeit, denn die meisten Foto-  und damit verbunden auch eine Verant-  englische Literatur in Zürich,
 Montpellier sowie Berlin und promo-
 graf:innen sind hybrid unterwegs.  wortung. Wie interpretieren Sie diese?  vierte über Propagandaschauspiele
 Man darf nicht den Anspruch haben,   der Reformationszeit. Danach war
 Wie gehen Sie mit den vielfältigen Ge-  alles abdecken zu  wollen und zu kön-  er als Journalist tätig, bevor er
 brauchsweisen der Fotografien um, etwa   nen. Auch bei uns gibt es große Lücken.    von 1995 bis 1998 als Co-Leiter des
 der Menge der heute auf Social Media   Überlieferung ist – zum Glück – immer   Forums der Schweizer Geschichte am
 Schweizerischen Landesmuseum,
 produzierten und kursierenden Bilder?  lückenhaft. Kurt Tucholsky sagte einmal,     Schwyz, wirkte. Seit 1998 ist er
 Natürlich verfolgen wir mit Interesse,  wir seien gefangen in unserem „Zeit-  Direktor und Kurator der Foto-
 wie sich die Gebrauchsweisen entwickeln  dorf“. Das gibt eine gewisse Gelassenheit.   stiftung Schweiz in Winterthur
 und verändern. Aber aus der Perspektive    Wir können nicht  vorhersagen,  was in     und hat in dieser Funktion die
 einer Sammlung gibt es ein Problem,  20, 30 Jahren als  wichtig gelten  wird.   Entwicklung der Fotostiftung
 zusammen mit Martin Gasser, der
   nämlich die enorme Bandbreite  von  Und diejenigen, die heute versuchen, für   1998 bis 2018 als Konservator Teil
 Foto grafie als Kunst und als Kommuni-  morgen alles richtig zu machen, machen     der Geschäftsleitung war, maß-
 kationsmittel. Ich halte das fotografische  vermutlich etwas falsch.  Was mir aller-  geblich geprägt. Insbesondere die   „Nur die Fotografie schafft   ruhigen  Moment.  Es  geht  dabei weniger  schon. Eine große Gefahr ist es, wenn man
 Bild  nicht  a priori für etwas  Wertvolles.  dings schon  wichtig ist: nachzudenken   Gründung des „Fotozentrums“   die Möglichkeit, einen   um ein kunsthistorisch geprägtes  Ver-  sich zu sehr im Kunstfeld platziert. Man
 Wir   haben  ein  magisches  Verhältnis  zu  über Auswahlprozesse, sie zu beschreiben   zusammen mit dem Fotomuseum   Moment zu definieren,   ständnis  von Bildern als  wertvolle Iko-  schneidet sich  von  vornherein etwas  ab,
 Winterthur in Winterthur 2003,
 Bildern. Dieses stammt aber aus einer  und zu benennen.   aber auch wesentliche Schritte zur   nen,  sondern  um  das  Anhalten  der  Zeit  wenn man sich darauf beschränkt. Denn
 Zeit, als Bilder etwas Seltenes und damit   Verankerung der Fotostiftung als   im Bild zu erfassen und zu   im weitgefassten Medium der Fotografie.  seitens des Kunstbereichs ist der Druck
 Wertvolles  waren.  Wir haben deswegen  Worin wird in Zukunft die Bedeutung   Kultur- und Forschungsinstitution   durchdringen.   Darin liegt ein Potenzial, das sich nicht so  groß, am Ende nur die etablierten Namen
 so viele Fotos auf unseren Smartphones,  des fotografischen Einzelbilds liegen –   mit nationalem Auftrag und inter-  Das ist etwas, was kein   schnell erschöpft.   und international profilierten Künstler zu
 weil das Löschen für uns seltsamerweise  angesichts der zunehmenden Verflüssi-  nationaler Vernetzung fallen in   erforschen und auszustellen. Das mag kul-
 seine Wirkungszeit.
 immer ein Problem ist. Ich glaube nicht,  gung des Bildbegriffs?   anderes Medium kann und   Was würden Sie den Initiatoren einer  turpolitisch ein Stück weit dienlich sein.
 dass  all  diese  Bilder   erhaltenswert  sind.   Das fotografische Bild als „Still“ hat   Er ist mit zahlreichen Veröffent-   was uns als Menschen   geplanten Bundes-Fotoinstitution in    Bei einer Neugründung ist es aber immer
 Genau deswegen greifen  wir für unsere  eine unglaubliche Qualität und Stärke.   lichungen und Ausstellungen    immer wieder fasziniert.“   Essen mit auf den Weg geben?   auch ratsam, an das Spezifische des Mediums
 Sammlung auf diesen etwas konserva-  Nur die Fotografie schafft die Möglich-  zur Schweizer Fotografie hervor-   Es liegt mir fern, hier Ratschläge zu  Fotografie denken. Was zeichnet es gegen-
 tiven Autor:innenbegriff zurück. Der Autor,  keit, einen Moment zu definieren, im   getreten, u. a. Gotthard Schuh –    PETER PFRUNDER   erteilen, da die Situation dort eine ganz  über anderen Kunstformen aus? Sonst
 Eine Art Verliebtheit, Schweizer
 die  Autorin ist gewissermaßen unser  Bild zu erfassen und zu durchdringen.   Fotobücher 1927 bis heute – Eine   andere ist.  Aus der Erfahrung der Foto-  provoziert man die Frage, warum es sich

   Filter. Auch ein Literaturarchiv sammelt  Das ist etwas, was kein anderes Medium   andere Geschichte der Fotografie,   stiftung gesprochen, sollte man nicht der  nicht einfach in bestehende Institutionen
 ja nicht einfach nur generell „Texte“, son-  kann und  was uns als Menschen immer   Walter Bosshard – China brennt.   Versuchung erliegen, alles abdecken zu  integrieren lässt.
 dern auch  Autor:innen. Ich poche übri-  wieder fasziniert. Das fotografische Bild   Bildberichte 1931 – 1939.   wollen. Man darf in so eine Institution
 gens auf den Begriff der Autor:innen, im  leistet Widerstand gegen die Beschleuni-  Barbara Basting wirkte viele Jahre   nicht zu viel hineinpacken wollen. Sich in-
 Gegensatz zu dem der Künstler:innen,  gung, gegen den permanenten Kitzel, der   lang als Kulturredakteurin. Seit   nerhalb des Feldes der Fotografie zu posi-
 weil er die Spanne vom angewandten bis  doch auch sehr unbefriedigend ist. Es gibt   2013 ist sie in der Kulturabteilung   tionieren und entsprechende Entscheide
 zum freien Schaffen offen lässt.  ein  ganz  großes  Bedürfnis  nach  diesem     der Stadt Zürich tätig.  zu fällen, ist wichtig und geschieht auch
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