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NETZWERK (58) FOTOSTADT ESSEN NETZWERK (59) FOTOSTADT ESSEN
Sind damit auch die Erwartungen Wie definieren Sie diese Bildautor:innen? Plakatserie zur Ausstellung
gewachsen? Zu den Kriterien gehört eine wahr- Photographie der Schweiz um 1840 bis heute
Unbedingt. Wir leben in einem ständi- nehmbare Haltung eines Menschen, der Kunsthaus Zürich, 1974
gen Spagat zwischen dem, was wir uns auf mit seinen Bildern eine Position bezieht.
die Fahne geschrieben haben, und dem, Diese Haltung, gepaart mit einer Konti- Doris Quarella
was wir als Institution leisten können. nuität, die sich in einer eigenständigen Gestaltung Blumenstein + Plancherel
Darunter leiden wir auch ein wenig. Fragestellung und in einer Handschrift © Fotostiftung Schweiz
äußert, ist uns wichtig. Uns interessiert
Die Fotografie ist stark im Wandel ein fotografisches Werk als Ausdruck einer
begriffen, schon aufgrund der täglich spezifischen Sichtweise der Welt.
produzierten Bildermenge. Was bedeu- Dabei sind wir von Anfang an offen
tet das für Ihre Sammeltätigkeit? und beschränken uns nicht auf Sektoren.
Als Institution kann man eigentlich Das innovative Potenzial, die Originali-
nur scheitern, wenn man dem allzu gro- tät, die Besonderheit, aber keinesfalls nur
ßen Druck durch die gigantische Bild- im Sinne einer Hierarchie von künstle-
produktion nachgibt. Die Fotostiftung risch wertvoll oder nicht – darauf achten
wollte anfangs auch die Fotografie in al- wir. Spannend finde ich hierbei auch die
len möglichen Erscheinungsformen sam- Prozesse der Umwertung, die ja dauernd
meln. Heute müssen wir Filter anlegen. stattfinden. Wir haben Bestände, die zum
Der entscheidende Filter für uns ist der Zeitpunkt ihrer Entstehung als unbedeu-
Begriff der Autorschaft. Mit der Übernah- tend galten, beispielsweise Emil Brunners
me von Nachlässen war er von Anfang an Fotografien von Bergkindern. Das Jahr-
unser Programm und hat sich bewährt. zehnte später von uns produzierte Buch
Wenn man sagt, die klassische Fotografie mit Brunners Bildern hatte einen riesigen
sei tot, denkt man sie nur vom Produkt Erfolg. Genau solche Prozesse finden in
her, von all den hybriden Formen, die es der Fotografie viel häufiger statt als in der
heute gibt. Wenn man das fotografische Kunst, weil das Medium so durchlässig ist. Peter Pfrunder ist 1959 in Singapur
Bild aber von der Autorschaft her denkt, geboren und in der Schweiz aufge-
bewegt man sich innerhalb des Korpus Als öffentliche „Gedächtnisinstitution“ wachsen. Er studierte Germanistik,
einer Werkbiografie. Diese geht automa- haben Sie eine kanonbildende Funktion europäische Volksliteratur und
tisch mit der Zeit, denn die meisten Foto- und damit verbunden auch eine Verant- englische Literatur in Zürich,
Montpellier sowie Berlin und promo-
graf:innen sind hybrid unterwegs. wortung. Wie interpretieren Sie diese? vierte über Propagandaschauspiele
Man darf nicht den Anspruch haben, der Reformationszeit. Danach war
Wie gehen Sie mit den vielfältigen Ge- alles abdecken zu wollen und zu kön- er als Journalist tätig, bevor er
brauchsweisen der Fotografien um, etwa nen. Auch bei uns gibt es große Lücken. von 1995 bis 1998 als Co-Leiter des
der Menge der heute auf Social Media Überlieferung ist – zum Glück – immer Forums der Schweizer Geschichte am
Schweizerischen Landesmuseum,
produzierten und kursierenden Bilder? lückenhaft. Kurt Tucholsky sagte einmal, Schwyz, wirkte. Seit 1998 ist er
Natürlich verfolgen wir mit Interesse, wir seien gefangen in unserem „Zeit- Direktor und Kurator der Foto-
wie sich die Gebrauchsweisen entwickeln dorf“. Das gibt eine gewisse Gelassenheit. stiftung Schweiz in Winterthur
und verändern. Aber aus der Perspektive Wir können nicht vorhersagen, was in und hat in dieser Funktion die
einer Sammlung gibt es ein Problem, 20, 30 Jahren als wichtig gelten wird. Entwicklung der Fotostiftung
zusammen mit Martin Gasser, der
nämlich die enorme Bandbreite von Und diejenigen, die heute versuchen, für 1998 bis 2018 als Konservator Teil
Foto grafie als Kunst und als Kommuni- morgen alles richtig zu machen, machen der Geschäftsleitung war, maß-
kationsmittel. Ich halte das fotografische vermutlich etwas falsch. Was mir aller- geblich geprägt. Insbesondere die „Nur die Fotografie schafft ruhigen Moment. Es geht dabei weniger schon. Eine große Gefahr ist es, wenn man
Bild nicht a priori für etwas Wertvolles. dings schon wichtig ist: nachzudenken Gründung des „Fotozentrums“ die Möglichkeit, einen um ein kunsthistorisch geprägtes Ver- sich zu sehr im Kunstfeld platziert. Man
Wir haben ein magisches Verhältnis zu über Auswahlprozesse, sie zu beschreiben zusammen mit dem Fotomuseum Moment zu definieren, ständnis von Bildern als wertvolle Iko- schneidet sich von vornherein etwas ab,
Winterthur in Winterthur 2003,
Bildern. Dieses stammt aber aus einer und zu benennen. aber auch wesentliche Schritte zur nen, sondern um das Anhalten der Zeit wenn man sich darauf beschränkt. Denn
Zeit, als Bilder etwas Seltenes und damit Verankerung der Fotostiftung als im Bild zu erfassen und zu im weitgefassten Medium der Fotografie. seitens des Kunstbereichs ist der Druck
Wertvolles waren. Wir haben deswegen Worin wird in Zukunft die Bedeutung Kultur- und Forschungsinstitution durchdringen. Darin liegt ein Potenzial, das sich nicht so groß, am Ende nur die etablierten Namen
so viele Fotos auf unseren Smartphones, des fotografischen Einzelbilds liegen – mit nationalem Auftrag und inter- Das ist etwas, was kein schnell erschöpft. und international profilierten Künstler zu
weil das Löschen für uns seltsamerweise angesichts der zunehmenden Verflüssi- nationaler Vernetzung fallen in erforschen und auszustellen. Das mag kul-
seine Wirkungszeit.
immer ein Problem ist. Ich glaube nicht, gung des Bildbegriffs? anderes Medium kann und Was würden Sie den Initiatoren einer turpolitisch ein Stück weit dienlich sein.
dass all diese Bilder erhaltenswert sind. Das fotografische Bild als „Still“ hat Er ist mit zahlreichen Veröffent- was uns als Menschen geplanten Bundes-Fotoinstitution in Bei einer Neugründung ist es aber immer
Genau deswegen greifen wir für unsere eine unglaubliche Qualität und Stärke. lichungen und Ausstellungen immer wieder fasziniert.“ Essen mit auf den Weg geben? auch ratsam, an das Spezifische des Mediums
Sammlung auf diesen etwas konserva- Nur die Fotografie schafft die Möglich- zur Schweizer Fotografie hervor- Es liegt mir fern, hier Ratschläge zu Fotografie denken. Was zeichnet es gegen-
tiven Autor:innenbegriff zurück. Der Autor, keit, einen Moment zu definieren, im getreten, u. a. Gotthard Schuh – PETER PFRUNDER erteilen, da die Situation dort eine ganz über anderen Kunstformen aus? Sonst
Eine Art Verliebtheit, Schweizer
die Autorin ist gewissermaßen unser Bild zu erfassen und zu durchdringen. Fotobücher 1927 bis heute – Eine andere ist. Aus der Erfahrung der Foto- provoziert man die Frage, warum es sich
Filter. Auch ein Literaturarchiv sammelt Das ist etwas, was kein anderes Medium andere Geschichte der Fotografie, stiftung gesprochen, sollte man nicht der nicht einfach in bestehende Institutionen
ja nicht einfach nur generell „Texte“, son- kann und was uns als Menschen immer Walter Bosshard – China brennt. Versuchung erliegen, alles abdecken zu integrieren lässt.
dern auch Autor:innen. Ich poche übri- wieder fasziniert. Das fotografische Bild Bildberichte 1931 – 1939. wollen. Man darf in so eine Institution
gens auf den Begriff der Autor:innen, im leistet Widerstand gegen die Beschleuni- Barbara Basting wirkte viele Jahre nicht zu viel hineinpacken wollen. Sich in-
Gegensatz zu dem der Künstler:innen, gung, gegen den permanenten Kitzel, der lang als Kulturredakteurin. Seit nerhalb des Feldes der Fotografie zu posi-
weil er die Spanne vom angewandten bis doch auch sehr unbefriedigend ist. Es gibt 2013 ist sie in der Kulturabteilung tionieren und entsprechende Entscheide
zum freien Schaffen offen lässt. ein ganz großes Bedürfnis nach diesem der Stadt Zürich tätig. zu fällen, ist wichtig und geschieht auch