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NETZWERK (28) FOTOSTADT ESSEN NETZWERK (29) FOTOSTADT ESSEN
Warum den größten Strukturwandel seiner fast 200-jährigen Von der ersten Idee bis zum fertigen
Das Medium „Fotografie“ hat in den letzten Jahrzehnten
Geschichte erlebt. So ist es höchste Zeit, die analoge Periode
Bild: Die Arbeit an einem fotografischen
des Mediums so gut wie möglich zu würdigen, zu erforschen
Kunstwerk ist ein Prozess, der manchmal
Jahre in Anspruch nimmt.
und zu dokumentieren, aber auch den Herausforderungen der
Von einem Bundesinstitut für Fotografie wün-
digitalen Periode mit Rat und Tat zu begegnen. Und wo könnte
ist das ein Bundesinstitut für Fotografie diese Aufgaben besser sche ich mir, dass es sich auch für diejenigen
Materialien und Dokumente interessiert,
angehen als in einer Region, die ihrerseits einen großen
die auf diesem Weg entstehen, die aber in den
Strukturwandel hinter sich gebracht hat?
Sammlungen der Museen nur selten einen
Platz finden. Sie zu bewahren heißt, einen
spannenden und aufschlussreichen Blick
PROF. DR. WOLFGANG ULLRICH,
Kunstkritiker und Publizist, Leipzig
auf die Fotogeschichte zu ermöglichen.
PROF. DÖRTE EISSFELDT,
Bundesinstitut Künstlerin, Neuenkirchen und Hamburg,
bis 2016 Professorin für Fotografie
an der Hochschule für Bildende Künste,
Fotografie ist ein zentrales Braunschweig
Kommunikationsmedium der Durch das Smartphone hat sich die Fotografie
für Fotogra e Gegenwart. Ein Bundesinstitut für zu einem wichtigen Träger einer globalen, non-
Fotografie, das die vielen dezentra-
verbalen Kommunikation entwickelt. Deshalb
len Institutionen, Archive und
wünsche ich mir ein Institut für Fotografie, das
Sammlungen – die nach ihren
wichtig? oft nicht ausreichenden Mög- das Medium neben den künstlerischen, wissen-
schaftlichen und dokumentarischen Erscheinungs-
lichkeiten damit befasst sind,
formen vor allem als Bildphänomen unserer
Die Fotoabteilungen in den deutschen die Bilder und ihre begleiten-
Landes-, Kunst- oder Stadtmuseen vernetzten Welt erforscht. Dazu gehört die
sind personell und finanziell meistens den Quellen zu bewahren und Betrachtung diverser, digitaler Bildwelten ebenso
leider zu schlecht ausgestattet, um die das Bewusstsein für die Rolle wie die kritische Auseinandersetzung mit den
musealen Aufgaben des Sammelns, des des Mediums, seine Geschichte,
Konservierens und der wissenschaftlichen monopolistischen Infrastrukturen und Algorith-
Erforschung angemessen zu bewältigen. seine fragile Materialität, seine men, die über die (Un-)Sichtbarkeit auf unseren
Das hat dazu geführt, dass zahlreiche Als Künstler, der schwerpunktmäßig mit dem Zeugenschaft zu pflegen und Displays entscheiden.
Archive uninventarisiert geblieben oder zu entwickeln – auf allen Ebe-
nicht digitalisiert worden sind. Sie Medium Fotografie arbeitet, halte ich ein solches VIKTORIA BINSCHTOK,
schlummern also weiter im Verborgenen. Institut für längst überfällig. In seiner geplanten nen unterstützt und vernetzt, Künstlerin, Berlin
Unter diesen Voraussetzungen können ist unabdingbar.
weitere wichtige Nach- oder Vorlässe Form ist es für die Fotokunst von größter Notwendig- Die Fotografie hat erfolgreich darum
nur bedingt aufgenommen werden. keit und elementarem Nutzen. In erster Linie sollte INKA SCHUBE, gekämpft, als Kunstform anerkannt zu
Ein Bundesinstitut für Fotografie, das bei wichtigen Vor- und Nachlässen der Weg in das Kuratorin für Fotografie und Medien, werden. Heute ist sie aus der Bildenden
Sprengel Museum, Hannover
allem Respekt für die föderalen Strukturen Kunst nicht mehr wegzudenken.
die zentrale Anlaufstelle für die jüngere Institut geebnet werden. Die Werke, die Negative Gleichwohl ist sie ortlos – wenn es darum
deutsche Fotografie wird, könnte die anderen sowie die digitalen Daten unterliegen hier der not- geht, dass die Werke ihrer bedeutendsten
musealen Fotoinstitutionen mit Rat und Vertreterinnen und Vertreter in einem
Tat begleiten. wendigen Pflege, bis hin zur Restaurierung und Archiv aufbewahrt werden, das sich einzig
DR. ULRICH POHLMANN, somit zu ihrer Erhaltung, was kleinere Institute gar Das geplante Bundesinstitut für Fotografie hat das Potenzial, ein der Fotografie widmet. Ohne ein Bundes-
institut für Fotografie werden die wichtigsten
Leiter der Sammlung Fotografie Wissensspeicher aus fächerübergreifenden Informationen und Initiativen rund
im Münchner Stadtmuseum nicht leisten können. Die so archivierten Materialien um das Fotografische zu werden. In internationalen Netzwerken wäre das Arbeiten und Nachlässe in alle Winde
sollten Wissenschaft und Forschung sowie den Bundesinstitut daher ein idealer Ort des Theorie- und Praxistransfers. verstreut werden und im Zweifelsfall sogar
verschwinden – jedenfalls dann, wenn
Museen zur Verfügung stehen und auf diesem Weg Und dieses Projekt ist wichtig, weil mit ihm die Ideen zu vorbildlicher Sammlung die erforderliche Kompetenz, die für
und Bewahrung realisiert werden könnten. Kurzum – es hätte die Chance,
der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich sein. ein deutschsprachiges Pendant zum Getty Research Institute und zum ihre Erhaltung sorgt, nicht vorhanden ist.
Die Fotografie in Deutschland braucht
Ein solches Institut ist also für alle Beteiligten Image Permanence Institute zu werden – ein Traum für Restauratorinnen einen Ort. Das Bundesinstitut für Fotografie
und Restauratoren!
und sein Publikum von großem Nutzen und ist dieser Ort.
unschätzbarem Wert. DIPL.-ING. MARJEN SCHMIDT, PROF. DR. BERND STIEGLER,
Fotorestauratorin und öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige,
Professor für Literatur- und Medienwissenschaft
Oberhausen (Bayern) an der Universität Konstanz
JÜRGEN KLAUKE, Fotograf und Medienkünstler, Köln