Page 27 - Fotostadt Essen 2
P. 27

IM PORTRÄT  (26)  FOTOSTADT ESSEN  IM PORTRÄT             (27)                                      FOTOSTADT ESSEN
 Pott-à-porter                                                                                 6
                                                                                               Zwischen Pfandflaschen
                                                                                               und It-Bag von Dior.
 –                                                                                             Auf ihrem kreativen Streifzug
                                                                                               durchs Revier zeigt Amina
 High Fashion                                                                                  Falah Ruhrgebiets-Realness.
                                                                                               7
                                                                                               Glückauf! Ihre Eltern
 und Pfandflaschen                                                                             kommen aus Tunesien.
                                                                                               Das Ruhrgebiet ist Amina
                                                                                               Falahs Zuhause. Bis heute
                                                                                               hängt ihr Herz an Duis-
                                                                                               burg – ihrer ganz eigenen
 Wie die Fotokünstlerin Amina Falah Mode und                                                   Kreativschmiede.
                                                                                               8
 Ruhrgebiet unter einen Hut, äh, Hoodie bringt.                                                Sie folgt keinem Schönheits-
                                                                                               ideal, zeigt keine klassischen
                                                                                               Models und findet einstu-
 Interview: Inga Klaassen                                                                      dierte Posen langweilig.
                                                                                               In ihren Fotografien spiegelt
                                                                                               Amina Falah das Lebens-
 Fliederfarbener  Vlies-Zipper,  türkiser  Lidschatten,  stylische  Mikro-Pony-Frise:          gefühl im Ruhrgebiet: jung,
 Amina Falah ist eine unkonventionelle Akademikerin, kommt eher als Über-Fashion-              progressiv, authentisch,
 Girl und charmant-coole Fotokünstlerin rüber. Ihr kreativer Vibe passt nach London,           geprägt von Industriekultur
 New  York,  Berlin  oder halt in den Pott –  ihren  Melting  Pot(t).  Geboren in Moers        und Multikulturalität.
 zieht es die 29-Jährige in die angrenzenden Ruhrgebietsstädte. Bis heute hängt
 ihr  Herz  an  Duisburg,  einer  waschechten  Perle  des  Ruhrgebiets.  Sie  interessie-
 ren Mode, Street-Lifestyle und das Lebensgefühl junger Menschen dort. In ihren
 Fotografien spiegelt sie dieses Lebensgefühl im Revier, geprägt von Industriekul-   1    3
 tur und Multikulturalität – abseits des Malocher-Spirits. Einer ihrer Aha-Momente
 war ein Praktikum in einer renommierten Moderedaktion, Fashion ist seitdem ihr
 Motto. Falah folgt in ihren Werken keinem Schönheitsideal, zeigt keine klassischen
 Models, keine einstudierten Posen. Stattdessen kokettiert sie auf ihren Streif-
 zügen mit Ghetto-Attitude, Heimatliebe und Hauptbahnhofsromantik – immer auf
 der Kippe zwischen Lokalkolorit und Weite-Welt-Vintage-Mode, Pfandflaschen
 und Designer-Bag.
 4
 Amina, warum zeigen Sie gerade den   Warum inszenieren Sie sich selbst als
 Ugly Chic des Ruhrgebiets? Ist das   Teil Ihres fotografischen Œuvres?
 nicht ein Klischee?  Ich  fühle  mich  selbst  angesprochen,  bin
 Der Trend Ugly Chic wurde interna-  Teil der Kultur. Auch ich stamme aus der
 tional gehypt, nachdem Luxuslabels wie  Region, meine Jugend verbrachte ich zum   5      6                     7

 Vetements und Balenciaga ihn 2016 auf  Großteil in Duisburg. Ich verbinde viel mit
 den Laufstegen der Pariser Fashion Week  der Region Ruhrgebiet, finde den Style mei-   8
 präsentierten. Es entstand ein Kleidungs-  ner Eltern faszinierend und erfülle somit
 stil, den ich bereits von zuhause kannte  meine eigenen fotografischen Kriterien.
 und der im Ruhrgebiet fest verankert
 ist. Dort leben Menschen, die nicht viel    Gibt es einen Ort im Ruhrgebiet,
 Wert auf Trends legen und dennoch als  der Sie reizt, den Sie aber noch nicht   2
 modische Inspirationsquelle dienen. Aus-  fotografiert haben?
 gebeulte Track Pants werden wie selbst-  In den 1970er Jahren war die Stadt     1
 „Was im Zeitgeist passiert, ist das, was mich umtreibt –
 verständlich mit  Socken in  High  Heels  Hagen die ultimative Popkulturstadt, das   und die Mode ist natürlich immer ein guter Ort,
 kombiniert. Der Blaumann zur Fake De-  Liverpool Deutschlands. Aufgrund seiner   genau das zu sehen“, sagt Amina Falah. In ihrer
 signer-Tasche? Klar, Hauptsache, authen-  musikgeprägten Vergangenheit hat mich   Fotostrecke setzt sie modische Statements und zeigt
 tisch. Diese Widersprüche ziehen mich   Hagen schon immer interessiert. Da ich   auch sich selbst.   4
 an und prägen mein Verständnis von   selbst auch sehr Musik-affin bin, würde   2
 Der Blaumann: Pottklischee und Uniform.
 Modefotografie.  mich ein Besuch sehr reizen.   3    Alle Fotos:  © AMINA FALAH
 Tennissocken zu pinkfarbenen Mules?
 Wie kamen Sie auf den Titel    Wie sind Sie auf das Pixelprojekt    Selbstverständlich, im Ruhrgebiet geht modisch alles.
 Pott-à-porter für Ihre Ausstellung?  Ruhrgebiet aufmerksam geworden?  4
 Ein Geistesblitz beim Serienschauen! Der  Meine Dozentin an der Hochschule   Zu den Lieblingsmotiven der Fotokünstlerin gehört   „Aktuelle Fotografie im Ruhrgebiet. Pixelprojekt auf Zollverein“
 die Bildstrecke mit ihrer älteren Schwester Rima.
 Titel ist dabei ein Wortspiel und deutet  Rhein-Waal hat mich darauf aufmerksam   „Mich faszinieren ihre Stärke und die Schönheit ihres   Die Stiftung Zollverein und das Pixelprojekt Ruhrgebiet starten mit dem Ruhr Museum im Herbst 2021 die Ausstellungsreihe
 darauf hin, dass Haute-Couture-Mo-  gemacht und mir geraten,  mich zu  be-  kahl rasierten Kopfes.“  „Aktuelle Fotografie im Ruhrgebiet. Pixelprojekt auf Zollverein“. Das Pixelprojekt wurde vor knapp 20 Jahren von dem Fotografen
 de  durch Alltagskleidung  ersetzt wird.  werben. Das Projekt zeigt nicht nur einen   5  Peter Liedtke als großes digitales Fotoarchiv des Ruhrgebietes gegründet und umfasst inzwischen Serien von mehreren
 Aus „Prêt“ wird „Pott“, um zu verdeutli-  Auszug aus meiner Fotografien, sondern   Ruhrgebiet abseits des Malocher-Spirits. Amina Falah   hundert Fotograf:innen. Im einzigartigen fensterlosen Industrieambiente des Rundeindickers der Kohlenwäsche auf der
 chen, dass die Mode aus dem Ruhrgebiet  ist gleichzeitig auch meine Abschluss-  inszeniert gekonnt Second-Hand-Mode aus Muttis   Zeche Zollverein bietet das Pixelprojekt seinen sonst digitalen Fotografien nun auch eine analoge Bühne. Gleichzeitig
 Garderobe inmitten von Industriecharme und
 stammt – ein soziales Porträt und eine  arbeit. Parallel arbeite ich auch an einem   Hinterhofromantik. „Es muss nicht alles teuer sein,   profiliert sich Zollverein weiter als Standort aktueller und junger Fotografie im Ruhrgebiet.
 Hommage an meine Heimat.   Pott-à-porter-Fotobuch.  um cool zu wirken – darum geht es mir!“
   22   23   24   25   26   27   28   29   30   31   32