Page 64 - Essener Stadtmagazin_3_2025
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ZU HAUSE IN ESSEN
Jan Jessen in voller Montur vor Ort in der Ukraine, mit der Khartiia Brigarde bei Lypzi
Jan Jessen lebt in Kray. Nicht weit vom Krayer Rathaus, also treffen wir uns dort, im Sonnenschein, auf der Wiese.
Gut gelaunt kommt er auf uns zu. Jeans, Hoodie, alles ganz normal, wäre da nicht in der Hand ein schwarzer Sack,
der ihm den Arm lang zieht, und unter dem anderen ein weiteres, kugelförmiges Objekt. Aus der Nähe ist es ein
Helm, der heute nicht zum Einsatz, sondern zum Zeigen bestimmt ist. Deshalb dient er auch als „Körbchen“ für
Handy, Schlüssel und Co. Das schwere Etwas in der anderen Hand ist eine kugelsichere Weste mit der Aufschrift
Presse. Auch sie ist heute zu Anschauungszwecken dabei. In die Hand genommen, wiegt sie einiges. Das ist Jans
Arbeitskleidung, wenn er in Kriegsgebieten unterwegs ist. „Die haben wir nicht immer an“, erklärt er lachend, „nur,
wenn es notwendig ist.“ Sein Job ist eben nicht wie jeder andere, und schon nach wenigen Sätzen zwischen uns
ist klar, für Jan ist Krisen- und Konfliktberichterstattung nicht nur ein Job, sondern eine Berufung. Dabei fing alles
ganz anders an. Der gebürtige Münsteraner, der in Rheinhessen aufwuchs und irgendwann am Niederrhein lan-
dete, wollte eigentlich Arzt werden. Weil er das so richtig von der Pieke auf lernen wollte, machte er zunächst eine
Ausbildung zum Krankenpfleger. Mit dieser in der Tasche sollte es zum Medizinstudium gehen. Doch dann räumte
er auf. „Es gab diese völlig skurrile Szene, wo ich eine Kiste Bücher die Treppe runter trage, und natürlich reißt der
Boden und alles klatscht hin. Und hinter mir im Treppenhaus lacht einer schallend und ich geh total wütend auf
ihn zu, da fragt er mich, ob ich Bücher mag. Er hätte ganz viele, und ich könnte gern mal hochkommen.“ Der Mann
war Rolf-Günter Zurek von der NRZ. Irgendwann später fällt Jan dessen Karte wieder in die Hände, und er stattet
der Redaktion einen Besuch ab – und bleibt. Er beginnt, als freier Journalist zu schreiben, und macht schließlich
sein Volontariat. So landet er in Essen. Aus Interesse wird er Politikredakteur. Und nebenbei engagiert er sich privat,
fährt 1999 in seinem Urlaub in den Kosovo, um dort humanitäre Hilfe zu leisten. Er wird einer von drei Leuten, die
die Caritas-Flüchtlingshilfe in Essen aufbauen, und arbeitet für das Internationale Friedensdorf Oberhausen. So
fährt er in den Irak, nach Afghanistan, in den Libanon. Und irgendwie ist er immer da, wo es gerade eskaliert. Also
schreibt er darüber. „Ab der Machtübernahme der Taliban ging das dann dienstlich so richtig los“, erinnert er sich.
Er schreibt nun nicht mehr nur für die NRZ, sondern für alle FUNKE Medien. Wo er hinfährt, schlägt er vor, und die
NRZ- und die Zentralredaktion in Berlin entscheiden dann. Binnen wenigen Tagen bricht er auf. Organisieren muss
er alles selbst. „Man muss schnell gucken, dass man mit Leuten vor Ort einen guten Zugang bekommt“, erklärt er.
Manchmal zieht er allein los, für gewöhnlich hat er aber einen Fotografen, einen Fahrer, einen Übersetzer und einen
sogenannten Fixer dabei, das ist jemand vor Ort, der die Landessprache spricht, die Lage kennt und Probleme löst.
Meist sind sie selbst Journalisten. Im Dezember 2024 macht Jan sich auf nach Syrien, er ist gerade im Nord-Osten des
Landes, als am 8. Dezember das Regime fällt, und macht sich sogleich auf nach Damaskus. „Wir wussten ja, dass da
was passiert, aber es hat ja keiner damit gerechnet, dass das System so schnell kollabiert“, ist er bis heute verwun-
dert, dass er den Sturz Assads live vor Ort miterlebt hat. Auch beim Beginn des Ukraine-Kriegs ist er bereits vor Ort.
„Ich war locker 30 Mal seit Kriegsbeginn in der Ukraine“, erzählt er, als wäre es ein Trip in die Nachbarstadt, „und
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