Page 46 - Essener Stadtmagazin_3_2025
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WIRTSCHAFT









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                 ie  Uhr  zeigt  kurz  vor  neun.  Mes-
          bah Vazifeh Betarbaneh kommt auf dem
          Hof seiner Lackiererei an. Inmitten der war-
          tenden Kundenfahrzeuge bietet sich für ihn
          eine Parklücke. Schnell aus dem Auto, in
          den Overall, ab in die Werkstatt! Im gelben
          Licht der Halogenstrahler schreit hier jeder
          Winkel nach harter Arbeit. Ein Mechaniker
          schleift akribisch an der Tür eines weißen
          SUVs, ein anderer schraubt im Innenraum
          eines schwarzen Kleinwagens. Ab und an
          wird es laut. Lackgeruch liegt in der Luft
          und Farbe klebt an den Wänden der Lack-
          kabine, in der ein schwarzer Kombi parkt.
          Sein Büro hat Betarbaneh im Nebengebäu-
          de. Der Iraner setzt sich auf seinen Schreib-
          tischstuhl und tippt eine Nummer in das
          Telefon: „Hier MVM Lackdoktor, ihr Fahr-
          zeug ist um drei Uhr abholbereit.“ Kurz da-
          rauf stürmt ein Mann in sein Büro: „Ich habe
          gestern auf der Autobahn ein Geräusch ge-
          hört.“ Ein Steinschlag! „Können Sie sagen,
          wie hoch der Schaden ist?“
          Das Geschäft läuft. Doch der Weg hierhin
          war nicht leicht. 2015 verlässt Betarba-
          neh die iranische Hauptstadt Teheran. In
          Deutschland angekommen, weiß er nicht,              Gelernt in Teheran, bald Ausbilder in Essen? Betarbaneh möchte
          was ihn erwartet. „Neues Land, neue Spra-           Perspektiven für junge Menschen schaffen.
          che. Das war nicht einfach“, erinnert sich
          Betarbaneh. Auch beruflich startet der Fa-
          milienvater bei Null. Um als Lackierer zu
          arbeiten, muss er eine Weiterbildung ab-
          schließen. Und das, obwohl er als Werk-  „Aber wenn du es willst, dann kannst du es auch“, winkt der Unternehmer ab und huldigt
          stattbesitzer im Iran eigene Mitarbeiter   die aus seiner Sicht unbegrenzten Möglichkeiten, die sich in Deutschland bieten. Doch
          anleitete.  Aus  dem  Chef  wird  wieder  ein   das Dasein als Unternehmer in einem Land, in dem man nicht aufgewachsen ist, birgt
          Lehrling.                         auch heute  noch Herausforderungen. Schon lange möchte  Betarbaneh  ausbilden und
          Doch Betarbaneh beißt sich durch, erlangt   jungen Menschen eine Perspektive in seinem Unternehmen bieten. So will der Lackierer
          die Qualifikation und schöpft 2019 Motiva-  auch dringend gesuchte Fachkräfte für sein Handwerk qualifizieren. Doch weil der Meis-
          tion aus einem ihm bekannten Sprichwort:   terschein fehlt, braucht Betarbaneh eine Sondergenehmigung. Die zu beantragen – ohne
          „Versuchen ist kostenlos!“ Betarbaneh fasst   sichere Sprachkenntnisse eine Herkulesaufgabe. „Man muss Briefe und E-Mails schreiben.
          den Mut, ohne finanzielle Mittel eine eige-  Ich habe immer gesagt: Das mache ich später. Ich habe es bis jetzt nicht gemacht“, erzählt
          ne Werkstatt zu gründen. Versuchen ist nun   Betarbaneh, dem nun das Wiedersehen mit einem alten Weggefährten neue Perspektiven
          einmal kostenlos. Aber ist es im deutschen   eröffnet.
          Behördendschungel auch einfach? „Es war   Nader Haddad, einst Arbeitgeberberater im JobCenter, vermittelte Betarbaneh nach der
          kompliziert“, erinnert sich Betarbaneh.    Ankunft in Deutschland die Weiterbildung zum Lackierer. Seit Februar 2025 ist Haddad
                                            nun für die EWG – Essener Wirtschaftsförderung im Einsatz. Als Teammitglied einer Be-
                                            ratungsstelle, die sich – ergänzend zum bestehenden Angebot der Wirtschaftsförderer – auf
                                            die Belange Selbstständiger mit Migrationsgeschichte konzentriert. Betarbanehs neuer
                                            Sparringspartner Haddad kann ihm nicht nur dabei helfen, Sprachbarrieren zu überwin-


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