Page 31 - Essener Stadtmagazin_3_2025
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KULTUR
d ie Kokerei Zollverein, nirgends
auf dem Areal des UNESCO-Welt-
erbes tritt die unglaubliche Ma-
schinerie des einst größten Zechenkomple-
xes Europas dem Besucher so offensichtlich
und brachial entgegen wie hier im Anblick
der mächtigen Koksofenbatterie inmitten
der gigantischen Schornsteine. Was genau
eine Kokerei eigentlich ist und wie sie funk-
tioniert hat, wissen wenige so richtig. Die
Aufgabe, dieses Wissen zu vermitteln, über-
nehmen Gästeführer entlang des Denkmal- Der beleuchtete Weg in den Schornstein, vorbei an den Rauchgaskanä-
pfads. Seit diesem Sommer gibt es dort drei len, unterhalb der Kokerei
neue Stationen. Damit sind aktuell acht in
Betrieb, zwei weitere werden 2026 an den
Start gehen. die Besucher müssten ständig hin- und her- hier oben so spektakulär wie der Ausblick
Wer beim Wort „Denkmalpfad“ an eine laufen. So darf nun jeder Gästeführer die aus den Fenstern. Wieder unten und drau-
einfache Aufreihung von Infotafeln denkt, Stationen für seine Führung frei aussuchen. ßen, machen wir uns auf zur Löschgleishal-
ist weit gefehlt. Nicht nur strotzen die Orte Die Antwort auf die Frage, ob es auch eine le auf der Rückseite der Koksofenbatterie.
der einzelnen Stationen vor merkwürdig Führung gibt, die alle Stationen abhandelt, An der Koksrampe ist die letzte der neuen
gespenstischer „Schönheit“, auch die unter- kommt prompt: „Nein!“, schmunzelt Sei- Stationen. Hier wurde der Koks abgekühlt
schiedlichen Installationen, mit denen hier fert. Warum nicht? „Weil die dann drei Tage und eventuelle Brandnester wurden von
die Historie vermittelt wird, sind ein Erleb- dauern würde.“ Unterwegs kommen wir am Mitarbeitern gelöscht. Einer von ihnen ist
nis. Selbst, wer sich noch nie für den Prozess stillgelegten Sonnenrad vorbei. „Das wird jetzt auf der neuen Infotafel zu sehen. Von
der Verkokung von Kohle interessiert hat, abgebaut“, erklärt Seifert, „in den entstehen- der Rampe aus wurde der Koks dann zur
sollte eine Führung wagen, denn allein die den Raum kommt eine Station zum Thema Sieberei gefahren, sortiert und schließlich
Kulisse ist den Ausflug wert. Zollverein ist Heizen.“ Kurz darauf sind wir am „Fuchs“ zum Abnehmer transportiert. Gleich um die
die einzige vollständig im Original erhalte- angekommen. Das ist unter einem der mar- Ecke entsteht die letzte geplante Station. Sie
ne Kokerei in Europa, die museal erschlos- kanten Schornsteine. „Fuchs ist ein Begriff wird sich mit den Themen Umweltschutz
sen ist und dabei dauerhaft für Besucher aus dem Schornsteinbau“, erklärt Seifert. und -belastungen befassen, zum Beispiel
zugänglich gemacht wurde. „Wir haben hier Auf dem Weg in den Schornstein selbst lau- mit den Arbeitsbedingungen auf der Kokerei
ein Erbe, und das vererben wir auch“, erklärt fen wir an sechs Rauchgaskanälen vorbei, und den Bedingungen draußen, im Umfeld.
Thorsten Seifert, Leiter des Denkmalpfads die horizontal von uns verlaufen. Alle sind „Nach dem berühmten Willy-Brandt-Zitat,
und der Standortvermittlung. Sein elfköpfi- kunstvoll beleuchtet, sodass man weit hin- dass der Himmel über der Ruhr wieder blau
ges Team und er widmen sich der nicht im- einsehen kann. Wir gehen tiefer in den Bau werden muss, hat die Kokerei Maßnahmen
mer leichten Aufgabe, wie man Besuchern und folgen dem Licht bis in den Schornstein ergriffen, um den Staub drinnen zu behal-
die Geschichte dieses Ortes vermitteln kann selbst. Sieben Meter ist der Durchmesser, ten“, erläutert Seifert, „aber drinnen, das ist
– und das so, dass es Spaß macht und gut erst ganz oben, in über 90 Metern Höhe, da, wo der Arbeiter tätig war.“ Auch das ist
aussieht. Eine vielseitige Aufgabe, die auch sieht man das Tageslicht. Auch hier führt ein spannendes Thema, über das die zahl-
ein vielseitiges Team beschäftigt. Seifert eine neue Lichtinstallation den Blick und reichen Fahrradfahrer und Fußgänger auf
selbst ist Ingenieurgeologe. Mit ihm zusam- zeichnet den Weg des Rauchs nach. Für die dem Kokereigelände an diesem Sommer-
men arbeiten Historiker, Kunsthistoriker, zweite neue Station müssen wir hoch hin- tag vermutlich wenig nachdenken. Heute ist
eine Psychologin, ein Mediengestalter, ein aus. Nicht so hoch wie der Rauch aus dem der Himmel strahlend blau, und damit wir
Schreiner und ein Friedhofsgärtner. „Und Fuchs, aber knappe 40 Meter steigen wir in nicht vergessen, dass das für die Menschen
das schon seit Jahrzehnten“, sagt er. Das den Füllbunker auf. Oben angekommen, früherer Generationen ein Traum war, ar-
aktuelle Ergebnis ihrer Arbeit schauen wir schaut man von oben in den riesigen Trich- beiten Thorsten Seifert und sein Team wei-
uns gemeinsam an. „Es gibt keine festge- ter. Mithilfe einer großen beleuchteten Ska- ter an beeindruckenden Möglichkeiten, das
legte Reihenfolge für die Stationen, alle sind la wird nun erkennbar, dass dort 1.500 Ton- Erbe zu vererben.
modular gestaltet und können variabel an- nen Kohle hineinpassten. „Der Füllbunker
gegangen werden“, erklärt er, während wir musste immer gefüllt sein, sonst wäre die Kokerei Zollverein
zur ersten neuen Station unterwegs sind. Statik gefährdet gewesen“, erklärt Seifert. öffentliche Führungen täglich
Der Grund dafür ist einfach: Würde man 5.000 Tonnen Kohle durchliefen den Bunker 16,50 €, ermäßigt 13,50 €
chronologisch den Weg der Verkokung ab- zu Betriebszeiten an jedem einzelnen Tag. Dauer: 2 Stunden
laufen wollen, lägen die unterschiedlichen Auch hier sind nicht nur die Zahlen beein- Gruppenführungen max. 20 Personen
Orte nicht sinnvoll auf einer Wegstrecke, druckend, auch die verlassene Szenerie ist zollverein.de
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