Page 11 - Essener_Stadtmagazin_2024_03
P. 11
KULTUR
Im Ruhrgebiet ist es auällig, dass die Menschen sich tatsächlich sagen, wat’se denken. Und das ist natürlich für’n Film
viel interessanter, als jemand, der die ganze Zeit nur rumschleimt. Deswegen passen Film und Ruhrgebiet gut zusammen!
Ralf Richter
Das Ruhrgebiet ein Filmort? Die großen eng mit der Industrialisierung verknüpft“, so die UFA aufkauft. „Damit ermöglicht er den
Filmstädte der Republik sind München, Ber- Grütter, „der Film hier ist als Dokumentar- Aufstieg der NSDAP und verhilft Hitler zum
lin oder Köln. Doch bei genauerer Betrach- lm entstanden, die großen Firmen wollten Durchbruch. Auch diesen Teil der Filmge-
tung steht das größte Kino Deutschlands sich darstellen. Und als größter industriel- schichte beleuchten wir in der Ausstellung“,
unweigerlich in Essen. Überhaupt nden ler Ballungsraum werden hier jede Menge berichtet Grütter und zeigt auf den Bereich
sich viele der schönsten Kinos in Essen. Und Kinos gebaut. In den 1920er-Jahren stehen zu Propaganda lmen und NS-Zeit. Struktur-
das älteste Kurz lmfestival der Welt gleich von den zehn größten Kinos in Deutschland wandel und die Er ndung des Fernsehers
nebenan, in Oberhausen. Diese Au istung allein vier in Essen und nur eins in Berlin. schreiben die Geschichte neu. Und schließ-
an Superlativen setzt sich in der neuen Aus- Bis 1945 sind es 600 Kinos im Ruhrgebiet.“ lich wird das Ruhrgebiet mit seinen giganti-
stellung im Ruhr Museum „Glückauf – Film Lange vor der Lichtburg, bereits vor dem schen Industriebauten in den 1960er-Jahren
ab! Kino- und Filmgeschichte des Ruhr- Ersten Weltkrieg, zählte die Schauburg an zur Kulisse für epochale Werke. Bernhard
gebiets“ stetig fort. Bis klar ist, das Ruhrge- der Pferdebahn schon 2.000 Sitzplätze. „Im Wicki und Luchino Visconti drehen ihre
biet ist ein großer Kino- und Filmort. Man Ruhrgebiet lebten viele Menschen und da Filme hier. Mit dem Untergang der Montan-
muss nur, wie so oft im Leben und im Film, sie hart arbeiteten, verdienten sie auch gu- industrie entsteht dann in den 1970er-Jah-
die Augen aufmachen und die Perspektive tes Geld“, erläutert Grütter den Boom. Mit ren ein eigenes „Genre“: der Ruhrgebiets-
wechseln. dem Beginn des Strukturwandels in den lm. „Da geht es immer um schräge, kaputte
Es ist die markige Stimme des Essener 1950er-Jahren ändert sich das. Alles hier Typen, die aber sympathisch sind und sich
Schauspielers Henning Baum, die den Be- ist mit der Montanindustrie verknüpft, die gegen alle Widerstände durchsetzen“, resü-
sucher mit unverkennbar sonorem Sound technische Entwicklung, das Filmemachen, miert Grütter vor der Wand mit den Plakaten
in die von Kohle geschwärzten Hallen der das Filmeschauen in Lichtspielhäusern und zu Filmen wie „Jede Menge Kohle“, „ eo
12-Meter-Ebene führt. Im Audioguide stellt natürlich auch die Inhalte der Spiel lme, die gegen den Rest der Welt“ oder „Bang Boom
er 21 Stationen der Ausstellung vor. Doch Bang“. Neben den Spiel lmen bringt das
zu entdecken gibt es so viel mehr. Hennings Ruhrgebiet zahlreiche Dokumentar lme
Stimme in allen Ehren, aber bei unserem Leute aus meiner Generation hervor. 13 von ihnen werden in einer eigenen
Besuch haben wir den Luxus eines „Live müssen hier hinkommen, um Reihe auf Zollverein gezeigt, 25 Spiel lme
Guides“ und gehen mit Museumsdirektor ihre Erinnerungen aufzufri- aus den letzten 100 Jahren laufen in Sonn-
Prof. Heinrich eodor Grütter durch die schen. Alle anderen sollten tagsmatineen im „Filmstudio Glückauf“ und
Ausstellung. Titel und Position zum Trotz hier herkommen, um ’ne völ- darüber hinaus werden sechs Filmklassiker
führt er uns mit der Begeisterung eines klei- lig neue Welt zu entdecken. in türkischer, spanischer, griechischer und
nen Jungen durch die über 900 Exponate. Frank Goosen ukrainischer Sprache als Wanderkino im
Vor jeder Vitrine, vor jedem Ausstellungs- Essener Norden gezeigt. Zu diesem umfas-
stück strahlen seine Augen, überschlagen sendsten Begleitprogramm, das das Ruhr
sich die dazugehörigen Geschichten. Hier hier gedreht werden. „Deshalb ist die Aus- Museum je auf die Beine gestellt hat, gibt
ist jemand mit grenzenloser Leidenschaft stellung zweigeteilt“, sagt Grütter, „auf der es Workshops, Vorträge, Exkursionen und
am Werk, und würde diese Ausstellung einen Seite zeichnet sie die Filmgeschichte Podiumsdiskussionen. Ein solches Mam-
nicht ohnehin schon allein optisch in dieser nach und auf der anderen die Kinogeschich- mutprojekt hat das Ruhr Museum natürlich
grandiosen Kulisse begeistern, so täte sie te, weil hier beides ganz eng miteinander nicht allein gestemmt. Neben einem breit
es spätestens jetzt. Das Aufsichtspersonal verbunden ist.“ aufgestellten Kuratorenteam, das mit Do-
kommt schon herangespurtet, als er stolz Doch zurück auf Anfang. Die Ausstellung rothea Bessen, Vera Conrad, Dr. Magdalena
die Hand auf den Ernemann-Projektor legt, setzt viel früher an, zum Beispiel bei eo- Drexl, Paul Hofman, Meltem Küçükyılmaz,
bis sie sehen, dass er es ist. Er darf das. Auch dor Beulmann, der in seinem „Bottroper Christoph Schurian, Christoph Wilmer und
der Projektor hat eine Geschichte. Komplett Welt- eater“ als einer der ersten regelmä- Dr. Ingo Wuttke aus Historikern, Filmex-
in ein Stahlgehäuse gekleidet, hört er auf ßig Filmvorführungen macht. Oder noch perten und Journalisten bestand, lebt diese
den eindrucksvollen Namen „Imperator früher beim Wittener Kohlenhändler Wil- Ausstellung von der Kooperation mit den
II“. „Die Firmen Krupp und Ernemann in helm Wiedau, der 1898 zum Kinopionier zwei großen Kinoinstitutionen der Region,
Dresden produzieren in den 1920er-Jahren wird, weil er mit einem Apparat lmen und den Essener Filmkunsttheatern und der Ki-
diesen Projektor und garantieren erstmals projizieren konnte. Auch seine Er ndung ist nemathek im Ruhrgebiet. Und darüber hin-
eine sichere und ruckelfreie Projektion“, er- im Ruhr Museum zu bewundern. Nach dem aus von all jenen Kinobetreibern und Film-
klärt eo Grütter. „Der geht bis nach Holly- Ersten Weltkrieg erwirbt Hugo Stinnes, zu liebhabern, die in ihre Keller gegangen sind
wood!“, setzt er nach. „Krupp war sehr früh diesem Zeitpunkt erfolgreichster Unterneh- und zum Teil selbst überrascht waren, wel- Auch die historischen Kinosessel
an Fotogra e interessiert und ließ Filme dre- mer Europas, im großen Stil lmwirtschaftli- che Schätzchen sie noch gefunden haben. diverser Ruhrgebietskinos haben ihren
hen für die Weltausstellung“, führt er weiter che Betriebe. Seine Firma „Westi“ avanciert Weg in die Ausstellung gefunden
aus. Damit hat er Maßstäbe gesetzt. Und schnell zu einer der großen in Filmproduk- Glückauf – Film ab!
es geht noch weiter. Um den Einschlag von tion, -Verleih und -Vertrieb. Es ist ein wei- bis 02.03.2025
abgeschossenen Kugeln zu rekonstruieren, terer Industrieller aus dem Ruhrgebiet, Al- Ruhr Museum Man muss sich Zeit nehmen hier. Nehmt euch Zeit, nehmt eure Kinder mit, nehmt eure Eltern mit,
er ndet Krupp mit Ernemann die Zeitlupe. fred Hugenberg, ursprünglich Direktor bei Begleitprogramm ab September nehmt eure Verwandten mit und dann hinein in die Ausstellung. Es ist so herrlich hier, wie im Kino.
„Die Filmgeschichte im Ruhrgebiet ist ganz Krupp, der schließlich diverse Medien und ruhrmuseum.de Peter Lohmeyer
| 10 | | 11 |