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KULTUR


                    Im Ruhrgebiet ist es au’ällig, dass die Menschen sich tatsächlich sagen, wat’se denken. Und das ist natürlich für’n Film
                    viel interessanter, als jemand, der die ganze Zeit nur rumschleimt. Deswegen passen Film und Ruhrgebiet gut zusammen!
                    Ralf Richter

          Das Ruhrgebiet ein Filmort? Die großen   eng mit der Industrialisierung verknüpft“, so   die UFA aufkauft. „Damit ermöglicht er den
          Filmstädte der Republik sind München, Ber-  Grütter, „der Film hier ist als Dokumentar-  Aufstieg der NSDAP und verhilft Hitler zum
          lin oder Köln. Doch bei genauerer Betrach-   lm entstanden, die großen Firmen wollten   Durchbruch. Auch diesen Teil der Filmge-
          tung steht das größte Kino Deutschlands   sich darstellen. Und als größter industriel-  schichte beleuchten wir in der Ausstellung“,
          unweigerlich in Essen. Überhaupt  nden   ler Ballungsraum werden hier jede Menge   berichtet Grütter und zeigt auf den Bereich
          sich viele der schönsten Kinos in Essen. Und   Kinos gebaut. In den 1920er-Jahren stehen   zu Propaganda lmen und NS-Zeit. Struktur-
          das älteste Kurz lmfestival der Welt gleich   von den zehn größten Kinos in Deutschland   wandel und die Er ndung des Fernsehers
          nebenan, in Oberhausen.  Diese Au istung   allein vier in Essen und nur eins in Berlin.   schreiben die Geschichte neu. Und schließ-
          an Superlativen setzt sich in der neuen Aus-  Bis 1945 sind es 600 Kinos im Ruhrgebiet.“   lich wird das Ruhrgebiet mit seinen giganti-
          stellung im Ruhr Museum „Glückauf – Film   Lange vor der Lichtburg, bereits vor dem   schen Industriebauten in den 1960er-Jahren
          ab! Kino- und Filmgeschichte des Ruhr-  Ersten Weltkrieg, zählte die Schauburg an   zur Kulisse für epochale Werke. Bernhard
          gebiets“ stetig fort. Bis klar ist, das Ruhrge-  der Pferdebahn schon 2.000 Sitzplätze. „Im   Wicki und Luchino Visconti drehen ihre
          biet ist ein großer Kino- und Filmort. Man   Ruhrgebiet lebten viele Menschen und da   Filme hier. Mit dem Untergang der Montan-
          muss nur, wie so oft im Leben und im Film,   sie hart arbeiteten, verdienten sie auch gu-  industrie entsteht dann in den 1970er-Jah-
          die Augen aufmachen und die Perspektive   tes Geld“, erläutert Grütter den Boom. Mit   ren ein eigenes „Genre“: der Ruhrgebiets-
          wechseln.                         dem Beginn des Strukturwandels in den    lm. „Da geht es immer um schräge, kaputte
          Es ist die markige Stimme des Essener   1950er-Jahren ändert sich das. Alles hier   Typen, die aber sympathisch sind und sich
          Schauspielers Henning Baum, die den Be-  ist mit der Montanindustrie verknüpft, die   gegen alle Widerstände durchsetzen“, resü-
          sucher mit unverkennbar sonorem Sound   technische Entwicklung, das Filmemachen,   miert Grütter vor der Wand mit den Plakaten
          in die von Kohle geschwärzten Hallen der   das Filmeschauen in Lichtspielhäusern und   zu Filmen wie „Jede Menge Kohle“, „ eo
          12-Meter-Ebene führt. Im Audioguide stellt   natürlich auch die Inhalte der Spiel lme, die   gegen den Rest der Welt“ oder „Bang Boom
          er 21 Stationen der Ausstellung vor. Doch                            Bang“. Neben den Spiel lmen bringt das
          zu entdecken gibt es so viel mehr. Hennings                          Ruhrgebiet zahlreiche Dokumentar lme
          Stimme in allen Ehren, aber bei unserem     Leute aus meiner Generation   hervor. 13 von ihnen werden in einer eigenen
          Besuch haben wir den Luxus eines „Live      müssen hier hinkommen, um   Reihe auf Zollverein gezeigt, 25 Spiel lme
          Guides“ und gehen mit Museumsdirektor       ihre Erinnerungen aufzufri-  aus den letzten 100 Jahren laufen in Sonn-
          Prof. Heinrich  eodor Grütter durch die     schen. Alle anderen sollten   tagsmatineen im „Filmstudio Glückauf“ und
          Ausstellung. Titel und Position zum Trotz   hier herkommen, um ’ne völ-  darüber hinaus werden sechs Filmklassiker
          führt er uns mit der Begeisterung eines klei-  lig neue Welt zu entdecken.  in türkischer, spanischer, griechischer  und
          nen Jungen durch die über 900 Exponate.     Frank Goosen             ukrainischer Sprache als Wanderkino im
          Vor  jeder  Vitrine,  vor  jedem  Ausstellungs-                      Essener Norden gezeigt. Zu diesem umfas-
          stück strahlen seine Augen, überschlagen                             sendsten  Begleitprogramm, das  das  Ruhr
          sich die dazugehörigen Geschichten. Hier   hier gedreht werden. „Deshalb ist die Aus-  Museum je auf die Beine gestellt hat, gibt
          ist jemand mit grenzenloser Leidenschaft   stellung zweigeteilt“, sagt Grütter, „auf der   es Workshops, Vorträge, Exkursionen und
          am Werk, und würde diese Ausstellung   einen Seite zeichnet sie die Filmgeschichte   Podiumsdiskussionen. Ein solches Mam-
          nicht ohnehin schon allein optisch in dieser   nach und auf der anderen die Kinogeschich-  mutprojekt hat das Ruhr Museum natürlich
          grandiosen Kulisse begeistern, so täte sie   te,  weil hier beides  ganz eng miteinander   nicht allein gestemmt. Neben einem breit
          es spätestens jetzt. Das Aufsichtspersonal   verbunden ist.“         aufgestellten Kuratorenteam, das mit Do-
          kommt schon herangespurtet, als er stolz   Doch zurück auf Anfang. Die Ausstellung   rothea Bessen, Vera Conrad, Dr. Magdalena
          die Hand auf den Ernemann-Projektor legt,   setzt viel früher an, zum Beispiel bei  eo-  Drexl, Paul Hofman, Meltem Küçükyılmaz,
          bis sie sehen, dass er es ist. Er darf das. Auch   dor Beulmann, der in seinem „Bottroper   Christoph Schurian, Christoph Wilmer und
          der Projektor hat eine Geschichte. Komplett   Welt- eater“ als einer der ersten regelmä-  Dr. Ingo Wuttke aus Historikern, Filmex-
          in ein Stahlgehäuse gekleidet, hört er auf   ßig Filmvorführungen  macht.  Oder  noch   perten und Journalisten bestand, lebt diese
          den eindrucksvollen Namen „Imperator   früher beim Wittener Kohlenhändler Wil-  Ausstellung von der Kooperation mit den
          II“. „Die Firmen Krupp und Ernemann in   helm Wiedau, der 1898 zum Kinopionier   zwei  großen Kinoinstitutionen der Region,
          Dresden produzieren in den 1920er-Jahren   wird, weil er mit einem Apparat  lmen und   den Essener Filmkunsttheatern und der Ki-
          diesen Projektor und garantieren erstmals   projizieren konnte. Auch seine Er ndung ist   nemathek im Ruhrgebiet. Und darüber hin-
          eine sichere und ruckelfreie Projektion“, er-  im Ruhr Museum zu bewundern. Nach dem   aus von all jenen Kinobetreibern und Film-
          klärt  eo Grütter. „Der geht bis nach Holly-  Ersten Weltkrieg erwirbt Hugo Stinnes, zu   liebhabern, die in ihre Keller gegangen sind
          wood!“, setzt er nach. „Krupp war sehr früh   diesem Zeitpunkt erfolgreichster Unterneh-  und zum Teil selbst überrascht waren, wel-                                                             Auch die historischen Kinosessel
          an Fotogra e interessiert und ließ Filme dre-  mer Europas, im großen Stil  lmwirtschaftli-  che Schätzchen sie noch gefunden haben.                                                         diverser Ruhrgebietskinos haben ihren
          hen für die Weltausstellung“, führt er weiter   che Betriebe. Seine Firma „Westi“ avanciert                                                                                                      Weg in die Ausstellung gefunden
          aus.  Damit hat  er  Maßstäbe  gesetzt.  Und   schnell zu einer der großen in Filmproduk-  Glückauf – Film ab!
          es geht noch weiter. Um den Einschlag von   tion, -Verleih und -Vertrieb. Es ist ein wei-  bis 02.03.2025
          abgeschossenen Kugeln zu rekonstruieren,   terer Industrieller aus dem Ruhrgebiet, Al-  Ruhr Museum                              Man muss sich Zeit nehmen hier. Nehmt euch Zeit, nehmt eure Kinder mit, nehmt eure Eltern mit,
          er ndet Krupp mit Ernemann die Zeitlupe.   fred Hugenberg, ursprünglich Direktor bei   Begleitprogramm ab September              nehmt eure Verwandten mit und dann hinein in die Ausstellung. Es ist so herrlich hier, wie im Kino.
          „Die Filmgeschichte im Ruhrgebiet ist ganz   Krupp, der schließlich diverse Medien und   ruhrmuseum.de                           Peter Lohmeyer


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