Page 66 - Essen_Magazin_2023_02
P. 66

KULTUR


                                                                                                                                                                                                      gang ganz diplomatisch nicht festlegen.
                                                                                                                                                                                                      „Der ist Schalker wie ich!“, petzt Grütter.
                                                                                                                                                                                                      Der ist zehn Jahre vor Neukirchner in
                                                                                                                                                                                                      der Nachbarstadt geboren. Mit sechs
                                                                                                                                                                                                      Jahren nimmt sein Vater ihn mit auf die
                                                                                                                                                                                                      „Glückauf-Kampfbahn“. „Das ist ein his-
                                                                                                                                                                                                      torischer Tag in der Familiengeschich-
                                                                                                                                                                                                      te“, erinnert sich Grütter. Das allerdings
                                                                                                                                                                                                      weniger  wegen  des  ersten Besuchs  im
                                                                                                                                                                                                      Stadion, sondern, weil der Vater bei die-
                                                                                                                                                                                                      sem Spiel seine goldene Uhr verlor. Trotz
                                                                                                                                                                                                      allem markiert dieser Tag den Beginn
                                                                                                                                                                                                      einer großen Leidenschaft. „Mit 14 sind
                                                                                                                                                                                                      wir stundenlang an der Emscher entlang
                                                                                                                                                                                                      nach Essen zum Georg-Melches-Stadion
                                                                                                                                                                                                      gelaufen, zum Derby“, berichtet Grütter,
                                                                                                                                                                                                      und „in meiner Studentenzeit hab ich
                                                                                                                                                                                                      als Rote-Kreuz-Helfer die Sani-Bude in
                                                                                                                                                                                                      der Südkurve im Parkstadion betreut.“
                                                                                                                                                                                                      Später wird er dort auch Ordner. Bis
                                                                                                                                                                                                      heute sind er und seine Freunde Dauer-
                                                                                                                                                                                                      kartenbesitzer und er träumt davon, sei-
                                                                                                                                                                                                      ner Mannschaft irgendwann wieder wie
                                                                                                                                                                                                      früher nach Madrid, Mailand und Lissa-
                                                                                                                                                                                                      bon hinterherzureisen. So eingefleischt
                                                                                                                                                                                                      ist Neukirchner nicht, der von sich sagt,
                                                                                                                                                                                                      dass er alle Revier-Vereine mag. Aber mit
                                                                                                                                                                                                      seiner Bewunderung für Klaus Fischer
                                                                                                                                                                                                      hält auch er nicht hinterm Berg. „Wenn
                                                                                                                                                                                                      wir  als Kinder  Fußball  gespielt  haben,
                                                                                                                                                                                                      wollte man natürlich immer Klaus Fi-
                                                                                                                                                                                                      scher sein.“ 2012 überarbeitet Grütter
                                                                                                                                                                                                      das Schalke-Museum. „Das ist mir wich-
                                                                                                                                                                                                      tiger als das Ruhr Museum, damit das
                                                                                                                                                                                                      mal klar ist!“, setzt er verschmitzt nach.
                                                                                                                                                                                                      Schon lange hegten beide den Wunsch,
                                                                                                                                                                                                      zusammen eine Ausstellung zum Thema
                                                                                                                                                                                                      Fußball im Ruhrgebiet zu machen. Das
                                                                                                                                                                                                      Ruhr Museum allein hat rund 30.000
                                                                                                                                                                                                      Fotos zum Thema „Lebensgefühl Fuß-
                                                                                                                                                                                                      ball“ im Archiv. Aus  ihnen  wurde der
                                                                                                                                                                                                      Themenschwerpunkt „Mythos“ maß-
                                                                                                                                                                                                      geblich zusammengestellt. Das Deut-
                                                                                                                                                                                                      sche Fußballmuseum hat die Kontakte
                                                                                                                                                                                                      zu den Agenturen, von denen die aktu-
                                                                                                                                                                                                      ellen Fotos stammen. Sie haben den Teil
                                                                                                                                                                                                      „Moderne“ beigesteuert. Das Team aus
                                                                                                                                                                                                      Wissenschaftlern hinter der Ausstellung
                                                                                                                                                                                                      kam jeweils zur Hälfte aus beiden Häu-
                                                                                                                                                                                                      sern. Über 450 Fotos und einige weitere
                                                                                                                                              Von oben:                                               Exponate  zeigt  die  Schau.  „Die  Kultur-
                                                                                                                                   Linda Dallmann und Ina                                             geschichte eines Landes spiegelt sich
                                                                                                                                     Lehmann von der SGS                                              immer auch im Fußball“, sagt Neukirch-
                                                                                                                                   Essen vor dem Bundes-                                              ner und Grütter erläutert: „Viele Revier-
                                                                                                                                  liga-Spiel gegen den MSV                                            Vereine wurden als Werksvereine von
                                                                                                                                    Duisburg 2018, Jürgen                                             den Zechen gegründet und finanziert.
                                                                                                                                  Klopp jubelt in Dortmund                                            Nirgendwo ist der Fußball so eng mit
           Pierre-Emerick Aubameyang                                                                                              2013 und Bochumer Fans                                              dem Bergbau verbunden wie hier.“ Und
           bejubelt sein Tor zum 2:0                                                                                             nach dem Aufstieg des VfL                                            tatsächlich gewinnen Rot-Weiss Essen,
           gegen Paderborn 2015                                                                                                     in die Bundesliga 2021                                            Borussia Dortmund und Schalke 04
                                                                                                                                                                                                      zwischen 1955 und 1958 alle Deutschen



    | 66 |
    | 66 |                                                                                                                                                                                                                             | 67 |
   61   62   63   64   65   66   67   68   69   70   71