Page 48 - Essen_Magazin_2023_03
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KULTUR
JEANNE
DU
BARRY
Johnny Depp verliebt sich als fran-
zösischer König Louis XV weit au-
ßerhalb seines Standes und lässt
seine bürgerliche Mätresse Jeanne
du Barry ins Schloss von Versailles
einziehen. Die ist nicht nur schön,
sondern auch weltoffen, klug und
rebellisch – eine Mischung, die bei
Hofe immer für Aufsehen sorgt,
erst recht im 18. Jahrhundert.
Jeanne (Maïwenn) wird als uneheliche
Tochter einer Näherin und vermutlich
eines Mönchs geboren. Als Klosterschü-
lerin lernt sie Umgangsformen und die
Welt der Bücher kennen. Zwei Dinge,
die ihr später helfen, aus ärmlichen Ver-
hältnissen emporzusteigen. Sie liebt ihre
Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdar-
stellerin Maïwenn als Jeanne im Spiegelsaal
von Versailles, gedreht am Originalschauplatz
Johnny Depp als Louis XV
Freiheit, auch die ihres Körpers, und Männerkleidung. Von Louis‘ Töchtern Coppolas „Marie Antoinette“ als rüpel- Johnny Depps Louis wirkt skurril wie den Film. Dieser kommt eigentlich sehr am Ende zum Nachdenken an. Und das
setzt ihre Fähigkeit, vorzugsweise reiche und dessen Entourage weitestgehend haft und machthungrig dar. Regisseurin, ein alternder Rockstar, der unter seiner klassisch daher, und dennoch sind viele sicher nicht nur darüber, ob nun jemand
Männer zu verführen, gewinnbringend verachtet, avanciert sie trotzdem zur Stil- Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin barocken Schminkschicht immer noch Themen bis heute aktuell. Jeanne ist Ver- aus Kentucky einen französischen König
ein. Der Graf du Barry sieht in ihr seine ikone. Sie wird von ihren Gegnerinnen Maïwenn (Ex-Frau von Luc Besson) er- den unschuldigen Charme eines Edward fechterin der Idee, dass alle Menschen spielen darf. Er darf, und so viel sei ge-
Chance, die Gunst des Königs zu erwer- kopiert und dennoch in Geschichtsbü- zählt die Geschichte neu. Als Bastard hat mit den Scherenhänden zutage fördert. gleich sind. Sie sorgt für Furore, wenn sie spoilert, sein Französisch war völlig in
ben und sorgt dafür, dass die beiden sich chern als immer freundlich und hilfsbe- Jeanne die Wahl zwischen einem Leben Im Gegensatz zu Depp entspricht Maï - nicht in der ihrem Geschlecht zugedach- Ordnung, zumindest für deutsche Ohren.
begegnen. Der alternde König Louis XV, reit allen gegenüber beschrieben. Selbst wie dem ihrer Mutter, voller Arbeit und wenns tatsächliches Alter nicht dem ih- ten Kleidung erscheint, was absurd wirkt Ab 24. August im Kino.
herrlich gespielt von Johnny Depp, beißt einen ihr geschenkten, schwarzen Jun- in ärmlichsten Verhältnissen, oder einem rer Protagonistin, die eigentlich 20 Jahre in einer Welt voller weiß gepuderter und
sogleich an. Was als hochprofessionelle gen stellt sie offiziell als Pagen ein. lasterhaften, in Ansätzen freien Leben als jünger sein müsste, was der Geschichte Lippenstift tragender Männer. Und was EMG-Filmexpertin Nicola
Kuppelei beginnt, wird schnell zu einer Jeanne du Barry und ihre außerge- Geliebte an der Seite reicher Männer. Sie jedoch recht guttut. Denn so wirkt es al- Jeanne in dieser Welt alles über sich er- Schwedt realisiert alle tou-
sehr ungewöhnlichen Liebesgeschichte. wöhnliche Stellung im französischen entscheidet sich für letzteres, doch bei al- les andere als peinlich, wenn Jeanne und gehen lassen muss, ist haarsträubend. ristischen Filmprojekte der
Entgegen aller Regeln lässt Louis Jeanne Königshaus lieferten bereits Stoff für len Freiheiten, die sie sich nimmt, ist von Louis kichernd wie verliebte Teenager Dennoch erhebt der Film an keiner Stelle Stadt Essen. Sie gehört
nach Versailles ziehen und führt diese als eine Operette von Carl Millöcker, einen Selbstbestimmtheit keine Spur. Erst recht durch Versailles albern. Der Film wurde oberlehrerhaft den feministischen Zei- zum Team des Snowdance
„Partnerin“ in die entsetzte Gesellschaft Stummfilm von Ernst Lubitsch, ein Mu- nicht als Geliebte des Königs. übrigens vor Originalkulisse gedreht und gefinger, er ist leichtfüßig, unterhaltsam NICOS FILMTIPP Independent Film Festi-
ein. Jeanne ist nicht nur nicht standes- sical von Cole Porter und vieles mehr. Trotz schwerer Grundthematik ist das in sehr opulenten Bildern, die un- und lustig, nicht immer politisch und vals, das seit 2023 in Essen stattfindet,
gemäß, sie rebelliert auch massiv gegen Allerdings wurde sie dabei gern als lie- „Jeanne du Barry“ ein wunderbar unter- weigerlich an „Barry Lyndon“ erinnern. vermutlich auch nicht historisch korrekt. und kümmert sich als Partnerin der Film-
die strenge Etikette des Hofstaates. So derliches Mädchen dargestellt, das sich haltsamer Film, was den beiden Haupt- „Jeanne du Barry“ hat in diesem Jahr die Aber gerade das macht ihn so sehens- und Medienstiftung NRW um Film- und
erscheint sie in gestreiften Kleidern, mit aus Geldgier nach oben geschlafen hat. darstellern und der unglaublichen Che- Filmfestspiele in Cannes eröffnet. Es wur- wert. Er besticht an vielen Stellen nur Fernsehproduktionen in Essen.
heruntergelassenen Haaren, ja sogar in Zuletzt stellte Asia Argento sie in Sofia mie zwischen ihnen zu verdanken ist. de viel geschrieben, nicht immer über durch Blicke und Gesten und regt doch
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